Werner Schwarz (Minister für Landwirtschaft, ländliche Räume, Europa und Verbraucherschutz) - Wie unterstützt die neue Landesregierung die ökologische Landwirtschaft?
Im Vergleich zur letzten Ökolandbautagung habe sich einiges verändert. Für besonders erwähnenswert erachtete Schwarz die Tatsache, dass die Landwirtschaft nun ein eigenes Politikfeld sei. Er würde zudem auf wissensbasierte Entscheidungen pochen. Das Landwirtschaftsministerium dürfe keine Interessenvertretung sein, betonte er. In Schleswig- Holstein gäbe es einen Zuwachs an Öko-Betrieben. Es handele sich aber um ein Wachstum auf niedrigem Niveau, im Vergleich zur Bundesebene. Die Bio- Betriebe in SH seien wiederum größer im Vergleich zur Bundesebene, gab er an. Er mahnte zugleich, dass der Fokus der Gesellschaft sich anlässlich der gegebenen Krisen verändert habe. Das beträfe insbesondere die Zahlungsbereitschaft für Lebensmittel. Die Kaufentscheidung für Bio- Produkte müsse von Verbraucherseite gerade gut abgewogen werden, so Schwarz. Die Zukunftskommission Landwirtschaft habe sich für eine „Ökologisierung“ ausgesprochen. Diese betreffe aber nicht nur den Ökolandbau, sondern auch die konventionelle Bewirtschaftung. Konventionelle und Öko-Betriebe müssen zusammenarbeiten und sich ergänzen, so Schwarz. Der Mehrwert des Ökolandbaus sei gegeben, dürfe aber nicht zu Lasten anderer genutzt werden. „Denn bisher gäbe es keinen Nachweis, dass Bio gesünder sei“, so Schwarz. Im Koalitionsvertrag sei eine Verdopplung des ökologischen Landbaus verankert. Er stellte zudem heraus, dass der Schwerpunkt sich weg von der Erzeugung in Richtung Vermarktung und Verarbeitung verschoben habe. „Die Kette muss jetzt ziehen“, so Schwarz. Förderbausteine würden in SH diesbezüglich angepasst. Geplant sei eine 100 %- Beratungsförderung im Bereich der Verarbeitung. Wichtig sei für eine Stärkung der Vermarktungsstrukturen auch die Planungssicherheit über die Legislaturperiode hinaus. „Die Ziele sind wiederum einfacher zu erreichen, wenn die Gesellschaft eigenständig mitmacht“, sagte er, und meinte damit, dass auch die Bildung in diesem Kontext in den Fokus gerückt werden sollte. Besonders am Herzen läge ihm insbesondere die Sicherung von landwirtschaftlichen Familienbetrieben in SH. Zukünftig sei ein „Runder Tisch Ökolandbau“ geplant mit regelmäßigen Treffen einer Kerngruppe und einer Erweiterung der Runde je nach thematischem Schwerpunkt.
Diana Schaak (Marktanalystin, AMI Agrarmarkt- Informationsgesellschaft mbH) - Was sagen Zahlen und Daten über den Bio – Markt?
Diana Schaak gab als Marktanalystin einen Einblick in die Entwicklung der Zahlen. Auf der Verbraucherseite sei es zu einer Ausgabendelle im Jahr 2022 gekommen. Ein Rückgang von 3,5 % im Bio-Sektor war zu beobachten. Doch durch die enormen Zuwächse in den Jahren zuvor, bewegten sich die Zahlen immer noch über dem Niveau der „Vor-Corona-Zeit“. Der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) habe laut Schaak 2/3 Marktanteil. Hier hätten besonders Frischeprodukte zugelegt, aber auch der Gesamtmarkt sei durch die Inflation gewachsen. Auffallend sei im letzten Jahr gewesen, dass die Konsumenten Bio- Lebensmittel vermehrt im Discounter eingekauft hätten. Das sei vor dem Hintergrund der höchsten beobachteten Preissteigerungen genau in den Discounten interessant, so Schaak. Die Preisunterschiede zwischen Einkaufsstätten seien verschwunden. Es gäbe nur noch minimale Unterschiede, gab Schaak an. Generell waren im gesamten Lebensmittelmarkt Preissteigerungen zu beobachten, sagte Schaak. Im BIO- Sektor lagen diese bei 6,6 %, im konventionellen Bereich mit 12,1 % doppelt so hoch.Drei Produktgruppen fielen mit auffallenden Absatzzuwächsen auf: Fleischersatz, Käse und pflanzliche Drinks. In den restlichen Produktgruppen wären eher Verluste zu beobachten. Die Verarbeiter würden am meisten unter Preissteigerungen leiden, gab Schaak besorgt an. Generell empfahl sie, jetzt umzustellen und bei Betrachtung des Gesamtmarktes somit antizyklisch zu handeln, gerade weil die Preise für Öko und konventionell derzeit so nah beieinander liegen. In Bezug auf die bundesweite Entwicklung der Öko- Fläche, gab sie an, dass hier prozentual leichte Zuwächse zu beobachten waren.
Tina Andres (Vorstandsvorsitzende Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft e. V. (BÖLW) - Wie halten sich Bio- Produkte im bewegten Markt?
Tina Andres stellte eingangs fest, dass 2022 ein Katastrophenjahr gewesen sei mit den Corona- Nachwirkungen, der allgemeinen Unsicherheit in der Bevölkerung und dem Ausbruch des Ukraine- Krieges. Es zeigte sich hier deutlich, wie fragil die Ernährungssouveränität sei. Frau Andres kritisierte daraufhin die “bemerkenswert schlechte Presse für Bio“. Dabei sei Bio gerade das preisstabilste Segment im Lebensmittelmarkt und sei somit eine Inflationsbremse. Bio könne sein Wachstum halten, so Andres. Zu beobachten sei lediglich eine Verlagerung zwischen den Einkaufstätten. Der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) und Discounter hätten zugelegt. Auch die Umstellungsquote sei in Deutschland stabil. Insgesamt seien 14 % aller Höfe in Deutschland Bio und 11,3 % der Fläche werden ökologisch bewirtschaftet. Ökologisch erzeugte Lebensmittel spiegeln ökologische Wahrheit wieder, betonte Andres. Es müsse dringend mehr über „wahre Preise“ gesprochen werden. „Wir brauchen einen Sog auf dem Markt“. „Die Kette muss ziehen“, stimmte sie Schwarz zu. Denn der Verbraucherwunsch nach Bio sei ungebrochen. Benötigt werden dafür erstens wirkungsvolle Maßnahmen. Hier würde der AHV-Bereich die größte Hebelwirkung mit sich bringen. Es brauche zweitens mehr qualifizierte und adressatengerechte Informationen über Bio, drittens eine Förderung der mittelständischen Handelsstrukturen, viertens müssten Bio- Inhalte in die berufliche Bildung integriert werden. Fünftens würden angepasste Ernährungsbildungskonzepte gebraucht, gerade auch in Hinblick auf die Gesundheitskosten ernährungsbedingter Krankheiten und die allgemeinen Folgekosten der Landwirtschaft. Als mögliche Maßnahmen schlug Andres eine ökologische Steuerreform, Pestizidabgaben und die Mehrwertsteuersenkung für Bio vor. Es müsse zudem dringend ein betriebswirtschaftlicher Paradigmenwechsel vollzogen werden. Auch eine Reform der GAP sei notwendig, so Andres.
Prof. Dr. Nina Langen, TU Berlin - Mit Bio – Lebensmitteln in Kantinen und Gastronomie punkten:
Zunächst stellte Langen heraus, dass die Nachhaltigkeit das übergeordnetes Ziel sein sollte. Bio sei lediglich ein Teil des Ganzen. Generell erfahren Begrifflichkeiten, wie Nachhaltigkeit und Regionalität mehr Akzeptanz als Bio, so Langen. Im AHV – Markt sollte das Ziel sein die Konsumenten mit einzubinden. Wir müssen „Vom low involvement zum high involvement“ kommen, so Langen. Voraussetzungen hierfür seien: Studien verstehen, Präferenzen kennen, Choice Architecture und Nudging anwenden können
Nudging beschreibt Interventionsansätze (Nudge: Schubs oder Stupser), in denen die Umgebung so gestaltet wird, dass menschliche Verhaltensweisen in eine bestimmte Richtung gelenkt werden ohne jeglichen Zwang und bei gleicher Zahl der Möglichkeiten für die sich entschieden werden könnte. Durch eine Veränderung der Choice Architecture (Auswahlarchitektur) wird die Aufmerksamkeit auf eine bestimmte Option gelenkt (Langen et al,2017, S.2).[1]
überzeugt sein, Planung und Zubereitung.Grundlage ihres Ansatzes war das Ökologische Rahmenmodell, welches unterschiedlichen Umgebungstypen und Einflussfaktoren beschreibt. Anschließendstellte sie dem ökologischen Rahmenmodell zugeordnete Interventionsmöglichkeiten vor.Zunächst war die Rede vomMenu Default. Hier werden Standards gesetzt und angewendet. Als Beispiel könnte der Standard in einer Kantine oder auch Mehrweg Bio sein.Als weiteren Aspekt gab sie die Schaffung von Zubereitungs- und Planungskompetenzen an. Unter dem nächsten Punkt, den food values war die Wertebildung zu verstehen. „Bar zahlen muss weh tun“, so Langen. In diesem Kontext mahnte sie an, Süßigkeiten nie mit der EC-Karte zu zahlen.Auch „Das Lieblingsgericht“ sei ein Ansatz, der die soziale Wahrnehmung stärke und die persönliche Empfindung anspreche. Wichtig sei auch die Platzierung auf der Speisekarte und die Reihenfolge der Servicelinie (Erreichbarkeit). Auch dieFarbgestaltung der Speisekarte, sei eine mögliche Intervention, welche die unbewusste Wahrnehmung abspreche. „Menschen denken in Farben“, so Langen. Als Konzept mit großen Potential für besagte Intervention gab sie das Nudging- Konzept an. Ein optimales Konzept für eine nachhaltige Ernährungsweise erachte Langen die Planetary Health Diet.
Die Planetary Health Diet ist laut Bundeszentrum für Ernährung (BZfE) die „Strategie für eine gesunde und nachhaltige Ernährung“ (BZfE). Sie kann als Grundlage für eine gesunde und umweltgerechte Ernährungsweise dienen.[2]
Wichtig wäre es generell auch food – waste – Themenstellung (food waste: Lebensmittelverschwendung) den Kontext der Nachhaltigkeit mit einzubeziehen, so Langen.
Tanja von Rohden, Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) - Neue Kennzeichnung für Bio – Lebensmittel in der Außer – Haus – Verpflegung:
Bisher fiel die Außerhausverpflegung unter das EU- Öko –Recht. Die neue Bio- Außerhausverpflegungs- Verordnung (AHVV) solle die Steigerung des Bio- Einsatzes unterstützen. Zudem solle es für Verbraucher klare Kennzeichnungsvorschriften und Verlässlichkeiten geben. Die Inhalte der neuen Bio-AHVV für Deutschland würden folgende sein: 1. Zutatenkennzeichnung; 2. Auszeichnung desBio-Anteils (Kat 1: 90-100 %, Kat. 2: 60-90 %; Kat 3: 20–50 %); 3. Verwendung von nationalem Bio- Siegel, Logos von Ländern und Verbänden; 4. Zertifikat der Öko- Kontrollstellen. Zum aktuellem Verfahrensstand gab von Rohden bekannt, dass die Abstimmung mit Ländern, Verbänden und den unterschiedlichen Ressorts abgeschlossen sei. Notwendige Änderungen im Öko- Landbaugesetz (ÖLG) und im Öko- Kennzeichnungsgesetz (Öko-KennzG) wurden im Kabinett bereits beschlossen. Noch ausstehend sei die Finalisierung der Anlagen in der Bio- AHVV (Musterzertifikat, AHV-Logo) und die Notifizierung der Bio- AHVV, so von Rohden.
Diskussion mit Joachim Becker (Milchviehbetrieb Westermööler), Klaus Lorenzen (EVG Landwege), Louisa von Münchhausen (HG Gut Rosenkrantz), Jan Bolten (Grell Naturkost), Rainer Carstens(Westhof), Kai Vormstein (Piratenkombüse):
Joachim Müller beklagte die hohen Energiekosten und die notwendige Schließung des Hofladens, blicke aber trotzdem positiv in die Zukunft und sei überzeugt, dass sich Bio weiter gut entwickeln werde. Rainer Carstens merkte an, dass neben den allgemeinen Krisen, Mindestlohnerhöhung, gestiegenen Energiekosten und Preissteigerungen aus landwirtschaftlicher Sicht auch die Trockenheits-Phasen ein großes Problem darstelle. Jan Bolten stellte fest, dass der Fachhandel es momentan besonders schwer habe und Unterstützung benötige. Zudem betonte er, dass auch im Großhandel eine gestiegene Nachfrage nach regionalen Produkten zu spüren sei und die Regionalität, als wichtiger Faktor beim Lebensmittel- Einkauf berücksichtigt werden müsse. Klaus Lorenzen ergänzte, dass Regionalität nicht nur eine räumliche, sondern auch eine emotionale Dimension umfasse; „Man kennt sich eben in der Region“. Er sei sicher, dass aktuelle Krisen enden werden, der Klimawandel aber bleiben werde. Da helfe es vielseitig aufgestellt zu sein. Bei Landwege sei nach Corona ein deutlicher Nachfrageanstieg in den Bistros zu beobachten, in anderen Segmenten sehe man wiederum Verluste. Kai Vormstein betonte, dass gerade auch die Belieferung von den aktuellen Preissteigerungen betroffen sei und stellte zudem heraus, dass die Gemeinschaftsverpflegung sehr preissensibel sei. Louisa von Münchhausen erachtete es als besonders wichtig, miteinander zu sprechen. Bei Gut Rosenkrantz sei man im ständigen Austausch mit Marktpartnern und Geschäftspartnern. Sie sieht weiter großes Potential für Bio-Lebensmittel.
[1] Langen et al, Review von Interventionsstudien aus den Bereichen Nudging, Information und Partizipation und deren methodischer Fundierung sowie Ableitung von Stellschrauben zur Steigerung nachhaltigen Essverhaltens, Arbeitspapier Nr. 4, Berlin, Juni 2017.
www.bzfe.de/nachhaltiger-konsum/lagern-kochen-essen-teilen/planetary-health-diet/